multikunst.ch


pfeill.gif (207 Byte)    multikunst    pfeilr.gif (206 Byte)

Gemeinsames in Natur und Kunst

 

 

Die stachelhäutigen grünen Dinge sind weder Drachen noch Echsen oder Seepferdchen. Was wir sehen, sind vergrösserte Ringelblumensamen.

Was wie Abstraktionen von Mutter mit Kind, wie Embryonen oder wie weibliche Geschlechtsorgane aussieht, sind Knospen des Blauglockenbaumes in verschiedenen Stadien. Die Urtierchen mit Kopf und langem behaarten Schwanz sind die Samen der Waldrebe. Vegetativ hingegen muten die kugeligen, wie in ein Netz gehüllten Platanenfrüchte an.

Vergrösserte Organismen

Bernadett Madörin erreicht diese Effekte in mehreren Schritten. Sie legt die Knospen und Samen unters Mikroskop, betrachtet vorerst einmal deren Eigenart und entdeckt dabei nicht nur pflanzliche Schönheiten, sondern auch Deformationen oder sogar eine Laus. Mit Scanner und Computer vergrössert sie die Organismen und druckt sie auf grüne, blaue, graue oder weisse A4-Blätter aus. Diese Blätter hängen, in Zeigemäppchen zu Serien und Blöcken geordnet, in der Galerie.

In einem weiteren Schritt verkleinert Madörin diese Vergrösserungen mit dem Computer und macht daraus Postkartenprints, die sie wiederum in Serien auf Ständer verteilt. Es gibt verschiedene Sujets. Auch Hagebutten mit ihrem Kernen und "Haaren" von Maiskolben sind darunter. Auf einigen Karten sind Aquarelle, auf anderen Bleistiftzeichnungen abgebildet. Die Künstlerin malt oder zeichnet die ausgedruckten Pflanzenteile ab - nicht unbedingt so genau wie möglich, sondern der Technik entsprechend. In der Zeichnung holt sie die dreidimensionale Eigenarten heraus. Im Aquarell geht es eher um Umrisse und um flächige Formale. Diese alten Techniken und die Computertechnik fügen sich in der Galerie ohne Probleme zu abwechslungsreicher Einheit.

Zwischen Natur und Kunst

Die Arbeiten Bernadett Madörin stehen in einer langen Tradition von Pflanzendarstellungen, die mit Leonardo und Dürer begann und sich in Blumenstilleben und Wald- und Gartenansichten bis ins letzte Jahrhundert fortsetzte. Mit dem Aufkommen der Fotografie eröffneten sich neue Möglichkeiten, und um 1900 trugen Blossfeldts "Urformen der Kunst" und Haeckels "Kunstformen der Natur" zur Jugendstil-Auseinandersetzung um Natur und Kunst bei. Haeckel fotografierte Vergrösserungen von Plankton, die in ihrer Ornamentik mit Einzelheiten gotischer Kathedralen vergleichbar sind. Blossfeldt vergrösserte fotografierte Pflanzenstengel und arrangierten sie zu oft symmetrisch angelegten und weniger organisch als künstlich erscheinende Gebilde. Die Aufnahmen beider Fotografen belegen, dass es in der Kunst kaum Formen gibt, die nicht schon in der Natur vorhanden sind.

Die Künstlerin:
Bernadett Madörin 
Bernadett Madörin  wurde 1947 in Luzern geboren. Sie begann ihre künstlerische Ausbildung an der freien  Gestaltungsschule Farbmühle und schloss 1994 mit dem Besuch der Höheren Fachklasse für freie Kunst an der Schule für Gestaltung Luzern ab. Seither arbeitet sie in Zug als freischaffende Künstlerin.

Verwandt - verschieden

Die Arbeiten Madörins implizieren dieses Faktum, zielen aber nicht in erster Linie darauf hin. Im Zusammenhang mit der Genforschung interessieren heute vielmehr die Ähnlichkeiten zwischen allen Lebewesen, ihr gemeinsamer Aufbau und die damit vorgegebenen Verbindungen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Madörin Pflanzenteile auswählt, deren Struktur an Tieren und Menschen und nie an Architektur gemahnt. Sie stilisiert nichts, sondern präsentiert alles in der ursprünglich gewachsenen Art. Daher lassen sich in jeder der vielteiligen, derselben Pflanzenart gewidmeten Serie Verwandtschaft und Verschiedenheit erkennen.

Am Blauglockenbaum ist keine Knospe wie die andere, obwohl sie alle die gleichen Merkmale tragen, die mit blossem Auge kaum wahrzunehmen sind. Die Ringelblumensamen sehen nur dann ganz unterschiedlich aus, wenn die Vergrösserung die Individualität je des einzelnen offenbart. Kein Wunder, dass Madörin im Winzigen alles Wesentliche findet und immer wieder über die Formenvielfalt der Natur erstaunt ist, deren unzähligen Varianten keine Kunst auszuschöpfen vermag.

MARIA VOGEL

multikunst